Preisanfragen bekommt man als freie Lektorin häufig. Und sicher nicht nur mir fällt auf, dass oft ganz wesentliche Informationen fehlen, um in eine wenigstens ansatzweise vernünftige Kalkulation einzusteigen. Viele der Anfragenden haben offenbar keine klare Vorstellung davon (oder keine Zeit, sich eine zu machen), wie sich Lektorats- oder Korrektoratspreise zusammensetzen. Aber das kann man ja ändern!

Meist sehen solche Mails ungefähr so aus:

»Wir haben hier Texte für ein Kundenmagazin, die wir gern korrigieren lassen würden (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik, Stil etc.). Das sind 82 Seiten in Word. Wir könnten Ihnen die Datei am Freitagnachmittag schicken und hätten sie gern bis Montag um 10 Uhr zurück. Was kostet das?«

Auf so eine Anfrage kann ich eigentlich keine andere direkte Antwort geben als die, dass ich nach Aufwand zum Stundensatz abrechne. Das wiederum reicht den wenigsten Anfragenden als Information – verständlich. Um konkretere Aussagen machen zu können, muss ich nachfragen und um mehr Informationen bitten, was Auftraggeber, die es ohnehin schon eilig haben, zusätzlich in Zeitnot bringt.

Im Idealfall liegt der Anfrage direkt der zu bearbeitende Text als Kalkulationsgrundlage bei. Aber auch wenn der noch in Arbeit ist, können Anfragende mit wenigen Vorbereitungen und Informationen den Weg zu einer qualifizierten und verlässlichen Kostenschätzung abkürzen.

Worum geht es überhaupt?

Auch Lektorinnen und Lektoren sind Menschen, und das heißt: Wir haben bestimmte Spezialgebiete und (Ab-)Neigungen. Es ist durchaus sinnvoll, jemanden zu beauftragen, der mit dem Thema und der Textsorte etwas anfangen kann. Will sagen: Auch für das Lektorat ist es ein Unterschied, ob es in dem Text um Psychologie oder um Maschinenbau geht, ob es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung oder eine Imagebroschüre handelt.

Tipp: Nennen Sie in der Anfrage bereits das Thema und ggf. die Zielgruppe des zu bearbeitenden Texts. Damit tun Sie nicht nur der Lektorin einen Gefallen, sondern auch sich selbst: Sie müssen keine – oder zumindest deutlich weniger – Rückfragen beantworten und keine Rückzieher von Anbietenden befürchten, die später merken, dass sie mit der Materie gar nicht zurechtkommen.

Lektorat oder Korrektorat?

Auch wenn viele die beiden Begriffe in einen Topf werfen: Diese zwei Tätigkeiten unterscheiden sich deutlich. Ein Korrektorat beschränkt sich darauf, Rechtschreibungs- und Zeichensetzungsfehler zu korrigieren. Bestenfalls werden schiefe Ausdrücke, stilistische oder inhaltliche Unstimmigkeiten angemerkt – hier allerdings Vorschläge für bessere Formulierungen zu machen, gehört bereits zum Lektorat, das dann auch mehr Zeitaufwand bedeutet und somit anders kalkuliert werden muss.

Was der fiktive Mitarbeiter aus dem obigen Beispiel anfragt, ist also tatsächlich eher ein Lektorat als ein Korrektorat. Netterweise beschreibt er ja, was er sich so wünscht – so merken beide Seiten zumindest nicht erst nach der Auftragsdurchführung, dass sie von verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen sind.

Tipp: Machen Sie sich den Unterschied zwischen Korrektorat und Lektorat bewusst und formulieren Sie in der Anfrage klar, welche Art der Bearbeitung Sie sich wünschen.

Seitenzahl: Schall und Rauch

Die Anzahl der Seiten hat für unsereinen einen eher bescheidenen Informationsgehalt. Auf keinen Fall ist sie etwas, was wir für eine halbwegs belastbare Kalkulation verwerten können. Was ist schon eine Seite? Je nach Schriftart, Schriftgröße, Seitenrändern und Zeilenabständen kann man sehr viel, aber auch sehr wenig Text auf einem DIN-A4-Blatt unterbringen – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Arbeitsaufwand pro Seite.

Tipp: Was für die Lektoratskalkulation viel greifbarer ist, ist die Zeichenzahl inkl. Leerzeichen. Die lässt sich in Word unter »Extras« sehr schnell bestimmen. Wenn der Text noch nicht fertig ist, einfach hochrechnen und in der Anfrage vermerken, dass es sich um eine ungefähre Angabe handelt.

Eine Seite ist nicht gleich eine Seite.

Eine Seite ist nicht gleich eine Seite (Blindtext erstellt mit blindtextgenerator.de).

Qualität des Ausgangstexts

Selbst wenn man weiß, wie viele Zeichen der Auftrag (voraussichtlich) umfasst, kann die Kalkulation noch ein ziemlich wackeliges Konstrukt sein. Je nachdem, wie viel an einem Text zu feilen ist, können 1.000 Zeichen in 10 Minuten bearbeitet sein – oder man sitzt eine Stunde daran. Deshalb hilft es für die Kalkulation auch nicht, die letzte, bereits gedruckte Ausgabe der fraglichen Veröffentlichung mitzuschicken: Die hat ja bereits eine Korrekturstufe durchlaufen und gibt somit keinen Aufschluss über den sprachlichen Zustand des Rohmaterials.

Natürlich können die meisten von uns auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Wenn aber ein Festpreis gewünscht ist, wird eine betriebswirtschaftlich kalkulierende Lektorin das Angebot zur Sicherheit eher höher ansetzen als zu niedrig. Es sei denn, der Anfragende beachtet folgenden …

Tipp: Wenn es irgend geht, schicken Sie die aktuelle Version des fraglichen Dokuments mit, ggf. mit Hinweis, dass es sich noch nicht um die Endfassung fürs Lektorat handelt. Sollte das noch nicht möglich sein, sind Probeseiten (mindestens 3, höchstens 10) ungemein nützlich: Sie sollten repräsentativ für die Qualität des Gesamttexts sein, beziehen Sie also ruhig auch Ausschnitte aus den Teilen ein, die Sie selbst für weniger gelungen halten.

Zeitrahmen

Klar bin ich selbstständig – ich arbeite selbst und ständig! Dieser Spruch hält sich in manchen Köpfen immer noch hartnäckig: Freiberufler:innen kann man arbeiten lassen, während man selbst das Wochenende genießt, schließlich freuen die sich ja über jedes bisschen Arbeit, das sie kriegen können. In manchen Fällen mag das stimmen, aber längst nicht jede:r von uns arbeitet ganz selbstverständlich auch an Wochenenden oder über Nacht (und viele, die dazu bereit sind, verlangen mit Fug und Recht Aufschläge dafür, dass sie ihre privaten Pläne über den Haufen werfen).

Tipp: Wenn es gar nicht anders geht als mit Sonderschichten, stellen Sie sich auf Preisaufschläge ein. Wenn Sie das vermeiden wollen, planen Sie die Zeit für ein Lektorat von Anfang an in die Produktion ein und fragen Sie rechtzeitig an, sodass Wochenend- oder Nachtschichten für das Lektorat gar nicht erst zur Diskussion stehen.

Fazit

Die beste Kalkulation ist immer die, die auf Basis des tatsächlich zu bearbeitenden Texts erfolgt. Ist das nicht möglich, können Sie selbst eine Menge dazu beitragen, dass Sie zügig verlässliche Angebote bzw. Kostenvoranschläge erhalten – und dass diese, falls Sie mehrere Lektorinnen und Lektoren anfragen, auch einfach zu vergleichen sind.

error: Inhalt ist kopiergeschützt.